SLAMMER STÜRMEN DIE NIEDERLANDE (1)

Anfang April haben mehr als 350 Menschen in Rotterdam, Groningen, Den Haag, Nimwegen und Amsterdam die Auftritte schweizer, deutscher und niederländischer Dichter aus der Poetry Slam - und performance poetry-Szene erlebt.

Während es in den Niederlanden eine reiche Tradition an Dichtern gab und gibt, die ihre Gedichte auch mit Vehemenz vorzutragen wissen, man denke an Simon Vinkenoog, J.A. Deelder, Johnny van Doorn, Tom Lanoye, Diana Ozon und natürlich Bart Chabot, schien auf deutschsprachigem Gebiet die Tradition des oralen Vortrags als Bestandteil der Dichtkunst tabuisiert und so gut wie ausgestorben zu sein. Das Fehlen dieser oralen Tradition läßt sich durch die Hitlerzeit erklären: zum einen wurden damals hunderte der expressivsten deutschen Dichter ins Exil gezwungen oder physisch zum Schweigen gebracht, zum anderen aber gab es im Nachkriegsdeutschland eine ganz starke Abneigung gegen gewisse Vortragstechniken, die von den Nazis massiv mißbraucht worden waren. Natürlich ist damit nicht gesagt, daß die Nazis die Redekunst erfunden haben; wohl aber, daß sie sich in ihrer Propaganda der altbekannten rhetorischen Mittel bedienten. Kurzum: bis Mitte der neunziger Jahre zeichneten sich Dichterlesungen in Deutschland vor allem durch das typische monotone Murmeln, Raunen und Sichselbstunheimlichwichtignehmen unheimlich wichtiger Dichter aus. Natürlich blieb das Publikum weg.
Anfang der Neunziger füllten in Holland und Flandern performing poets wie Deelder und Chabot die Theatersäle, Serge van Duijnhoven, Ruben van Gogh, De Dichters uit Epibreren, Ingmar Heytze, Arjan Witte en Tommy Wieringa hießen die Namen der neuen Generation, und auch viele deutsche Nachwuchs-poets wollten performen. In Ermangelung von irgendwelchen Vorbildern im eigenen Sprachraum sahen sie sich im Ausland um. Natürlich nicht in Holland, sondern in Amerika. Dort war seit Mitte der Achziger eine völlig neuartige Form des Poesievortrags entstanden: der Poetry Slam, eine Art Dichterkrieg, bei dem die Dichter vortragenderweise wettkampfmäßig gegeneinander antraten und vom Publikum nach Punktsystem benotet wurden. Ziel all dessen war einerseits, das Publikum näher zu den Dichtern zu bringen, andererseits, den Dichtern bewußt zu machen, daß zum echten Poeten eben nicht nur die bloße Niederschrift, sondern auch der adäquate Vortrag gehört.

Poetry Slam entwickelte sich lawinenartig: in so ziemlich jeder nordamerikanischen Stadt entstanden offene Slambühnen, die amerikanische Jugend stürzte sich zu Aberhunderten auf die Poesie.Slamgedichte sind in erster Linie auf den Vortrag ausgelegt; Klang, Rythmus, Humor und Geschwindigkeit sind daher oft wichtiger als der sogenannte literarische Gehalt. Viele Gedichte erinnern in ihrer gesellschaftskritischen Haltung an den Predigergestus klassischer amerikanischer Punksänger. Wie auch immer: Poetry Slam hat sich in Amerika zu einer vollwertigen literarischen Kunstform entwickelt, zu einem eigenen Genre, das sich nahtlos in die orale Poesietradition der USA einfügt.

Einige deutsche Dichter nun hörten einst in den tiefen Neunzigern von dieser Ami-Erfindung, beschlossen, sich das näher anzusehen, wurden süchtig und brachten den Slam nach Deutschland. Mit Erfolg: Poetry Slam ist in Deutschland inzwischen enorm populär und zu einer echten Bereicherung der literarischen Landschaft geworden. Und das interessante ist, daß während niederländische Dichter eifrig darauf achten, daß ihre Texte auch auf dem Papier zu "funktionieren" haben, viele deutsche Slammer auf dem Standpunkt beharren, ihre Texte seien explizit für den Vortrag verfaßt, und sich konsequenterweise weigern, sie publizieren zu lassen. Dafür seien sie ganz einfach nicht gemacht.

In der Schweiz, wo die Slamszene ähnlich boomt wie in Deutschland, liegen die Dinge dann doch etwas anders: man neigt dann doch mehr dem gesetzteren niederländischen Standpunkt zu. Tom Combo aus Winterthur, geb.1965, sucht sofort nach Betreten der Bühne Kontakt mit dem Publikum, indem er seine Gedichte mit humorvollen Einleitungen versieht. Seine Verse verflechten auf eindringliche Weise Elemente aus dem absurden Alltagsleben. So hat er ein Gedicht gemacht, in dem er die besänftigende Stimme eine Hypnotiseurs ('je bent ontspannen, je voelt je goed') mixt mit einem sich im Verlauf des Gedichtes entwickelnden ernsten Verkehrsunfall. Tom Combo benutzt diese Technik des öfteren. In einem anderen
Gedicht über eine entgleiste Beziehung wiederholt er die Worte "und es war schön." bis zur Erschöpfung und weiß so sowohl auf der Bühne als auch auf dem Papier zu überzeugen.
Sein junger Mitschweizer Jürg Halter aus Bern, geb.1980, ist bekannt für die Morbidität seiner Gedichte. Eines behandelt seinen Haß auf Tauben. Er weiß in diesem seinem Horrorgedicht diesen Haß so prächtig auszudrücken, dass jedes Wort Bild wird und die zerplatzenden Taubeninnereien einem wortwörtlich so richtig um die Ohren fliegen. Zudem zitiert er in seinem Gedicht so viele historisch-literarische Vorbilder, daß das Gedicht auch nach
vielmaligem Lesen oder Hören fesselnd bleibt. Selbst Selbstspott ist ihm nicht fremd. So nimmt er in einem seiner Gedichte mitleidlos die heile schweizer Gesellschaft auseinander, was ihn nicht davon abhält, ein-und ausgangs zu postulieren, daß er Schweizer sei und bleiben wolle. Jürg Halter ist zu besichtigen am Mittwoch, den 20. Juni auf dem Poetry International in Rotterdam, wo er u.a. mit Tjitse Hofman aus Epibreren um den Gewinn des dortigen Poetry Slams streiten wird. Hingehn!!! Wer so lang nicht auf ihn warten kann: sein junges Werk ist zu besichtigen auf www.art-21.ch.
In der nächsten Folge mehr über die deutschen Teilnehmer der Tour.

© Bart FM Droog, Vera Krant #8, magazine of Vera, the club for international pop underground in Groningen, 15.4.2001
© Übersetztung Lasse Samström, 10.5.2001

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PRESSE ÜBER DIE ALL STAR SLAM TOUR 2001

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